01 Vegane
Revolution oder Substitutkultur?
Urban food - White Paper
Die Debatte über den positiven Einfluss pflanzlicher Ernährung wird zunehmend präsenter und ist in der Breite der Bevölkerung angekommen. Das Bewusstsein dafür, dass omnivore und vegetarische Ernährung einen massiven negativen Einfluss auf unsere Umwelt und Gesundheit hat steigt, nach Jahrzehnten in denen ein gegenteiliges Wohlstandsbild von der Politik in der Öffentlichkeit propagiert wurde. Auch der ethische Aspekt rückt immer stärker in den Vordergrund; zu stark wiegen die Zusammenhänge zwischen Milch- und Käseproduktion und der Fleischindustrie. Nicht nur zur Fleischproduktion werden Tiere unter teils unwürdigen Bedingungen gehalten, auch um Milch und Käse zu produzieren muss ein Kalb geboren, von der Mutter separiert und jung geschlachtet werden. Dennoch zieht das steigende ethische, gesundheitliche und ökologische Bewusstsein noch wenig Konsequenzen im Alltagsleben nach sich.
Es gibt natürlich auch Stimmen, die sich auf die absurde Theorie einer steigenden Sojaproduktion rein pflanzlicher Ernährung versteifen. Das Argument der Monokulturen und der Rodung von Regenwäldern lässt sich in diesem Kontext leicht entkräften, denn die Fleischproduktion verbraucht viel mehr Soja als eine vegane Lebensweise.
Die steigende Nachfrage nach Alternativen zu Fleisch- und Milchprodukten beflügelt nicht nur Innovationen in der Forschung – insbesondere mit Blick auf Konsistenz und Geschmack von Substituten –, sondern bringt auch ökonomische Anreize mit sich.



Selbst Big Player wie Cargill oder Nestlé fragen sich inzwischen warum diese enormen Mengen von Soja und anderen Bohnen an Tiere verfüttert werden, wenn man mit einem kleinen Teil davon auch direkt die Menschen satt bekommen könnte und dabei noch mehr daran verdient. Die immer breitere Akzeptanz und Nachfrage nach Tierproduktsubstituten, und die großen Gewinnspannen lassen die Lebensmittelindustrie sich selbst neu erfinden. Angespornt vom Erfolg von Firmen wie Beyond Meat oder Impossible Foods, springen Lebensmittelriesen wie Nestlé, die inzwischen den Vegan Burger im deutschen McDonalds liefern, Cargill oder Rüdenwalder Mühle auf den Zug auf und entwickeln Fleischersatzprodukte. Die Lebensmittelindustrie die pflanzliche Milchalternativen anfangs belächelt hat und dann von sinkenden Absatzzahlen bei den klassischen Milchprodukten überrumpelt wurde, ist gewarnt und möchte bei Fleischersatzprodukten nicht den gleichen Fehler begehen.
Leider wird eine großteils oder rein pflanzliche Diät oft als elitäres Phänomen abgestempelt, dabei sieht man insbesondere an der Fast Food Industrie in den USA, dass dieses Thema inzwischen, auf Basis von nicht nur ökologischen oder gesundheitlichen Argumenten, sondern vor allem auch einer Ethikdebatte in allen Gesellschaftsschichten seinen Platz hat. Dies wird mitunter auch durch aggressives Marketing, das möglichst viele Menschen erreichen will gefördert. Die neuen Produkte werden zu Lifestyleprodukten erhoben und von Hip-Hop-Größen wie Snoop Dogg oder dem Wu-Tang Clan beworben. PR-Leute und Designer richten sich durch ihr Grafik- und Verpackungsdesign und ihre lauten Kampagnen nicht nur an vegan lebende Konsumenten, sondern insbesondere an die wachsende Gruppe von Flexitariern. So werden Produkte in Supermärkten und in der Gastronomie zunehmend als „rein pflanzlich“ oder „plant based“ beworben um das für viele negativ aufgeladene und stark mit Verzicht assoziierte Wort „vegan“ zu vermeiden. Der Impossible- oder Beyond-Kunde will Spaß haben und auch bewusst ungesund und fettig essen dürfen, ohne dabei der Umwelt zu schaden. Man kann natürlich darüber Mutmaßen ob die breite Akzeptanz und der Erfolg dieser Fastfood Produkte in den USA von einer breiteren Akzeptanz für stark verarbeitete Lebensmittel oder Gentechnik her rührt, während man sich in Österreich gerne noch das Idyll des Käses von der Alphütte und der Kuh auf der grünen Wiese vorstellt.
Um das möglichst perfekte Imitat zu erhalten gibt es unterschiedliche Ansätze. Laut Patrick O. Brown, Professor für Biochemie in Stanford und Gründer von Impossible Foods, schmeckt Rindfleisch aufgrund des eisernen Geschmacks des Bluts oder insbesondere der darin enthaltenen Hämoproteine so gut, und so hat es sich die Firma zur Aufgabe gemacht Blut auf pflanzlicher Basis möglichst exakt nachzubilden. Sie setzt dabei auf Leghämoglobin, welches sich in geringen Mengen in der Wurzel einer bestimmten Sojapflanze befindet. Da die Menge der benötigten Pflanzen für die industrielle Produktion des Blutimitats viel zu groß wäre, wurden Hefen gentechnisch verändert um das Hämoprotein in ausreichenden Mengen zu produzieren. Dieses Imitat wird mit Soja, Kartoffeln, Weizen, Kokosfett, Konjakwurzeln vermengt und zum pflanzlichen, blutenden Laibchen gepresst.
Beyond Meat hat bereits 2009 die ersten Versuche mit veganen Substituten gestartet und war auch Inspiration für Impossible. Statt auf Blutimitat setzen sie auf Rote Rüben um den Burger „bluten“ zu lassen und auf zusätzliche Aromen um an den Geschmack von Fleisch möglichst nahe heranzukommen.
Der polnische Koch Aleksander Baron, in der klassischen „Nose to Tail“- und Fermentationsküche angesiedelt, hat sich mit Beyond Meat und dem Thema Fleischersatz auseinandergesetzt. Er überträgt seine Erfahrungen aus der traditionellen Wurstherstellung auf die Rohmasse des Produkts und ist überzeugt davon, dass man in Geschmack und Textur ein Fleischprodukt nahezu perfekt imitieren kann. Auch fordert er mehr Kreativität im Umgang mit dem Produkt und der Entwicklung, beispielsweise durch regionale Imitate. Aus ökologischer Sicht unterstützt er Fleischersatzprodukte, kritisch sieht er hingegen ihre starke Verarbeitung und stellt, wie viele andere Köche auch, die generelle Frage nach dem Sinn von Substituten gegenüber einem kreativeren Umgang mit rein pflanzlicher Küche.
Die Firma Beyond Meat wirbt damit, dass ihre Burger-Patties 90% weniger Emissionen als ein echtes Fleischlaibchen verursachen, ein Wert den Benjamin Bodirsky, Experte für Landwirtschaft und Landnutzungsänderungen am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung für realistisch hält. Der bisher noch weite Transport auf dem Seeweg aus den USA und die Verpackungen wiegen ökologisch weit weniger als die Produktion selbst. Somit kann zumindest die ökologische Kritik abgewandt werden.
Ein anderer Weg wird von Firmen wie Pulled Oats oder Lotao beschritten. Sie stellen Alternativen und keine klassischen Imitate her. Im Gegensatz zu Beyond Meat, Nestlé oder Impossible Foods, verzichten diese Firmen auf Gentechnik, starke Verarbeitung, künstliche Aromen und Allergene. Für sie steht gesunder Genuss im Vordergrund: Ihre Kunden sind häufig Flexitarier, achten auf Ökotest- und Biosiegel, folgen Lifestyleströmungen im kulinarischen Bereich und lehnen stark verarbeitete Lebensmittel ab. Der ökologische Aspekt tritt hier eher in den Hintergrund.
Ein wiederkehrendes Thema in der Diskussion um Fleischalternativen sind In-Vitro Erzeugnisse.
Eine der derzeit vielversprechendsten Firmen in diesem Bereich ist Aleph Farms aus Israel. In zwei Jahren wollen sie das erste Restaurant mit In-Vitro Steaks eröffnen. Ihr großes Versprechen ist Fleisch mit besserer Ökobilanz und vor allem auch ein gesünderes Produkt, ohne Antibiotika oder andere negative Effekte der Massentierhaltung. Viele Wissenschaftler sehen diese Technologie noch kritisch, weil die tatsächliche ökologische Bilanz einer industriellen Produktion noch nicht abschätzbar ist, auch wenn sie auf jeden Fall besser ausfallen wird als die der Tierhaltung. Unter vielen Veganern wird diese Art von Nahrungsmittel aufgrund der anfänglichen Stammzellenentnahme kritisch gesehen. Konsumenten scheint bisher pflanzliche Alternativen attraktiver, von manchen wird die künstliche Herstellung von Fleisch im Labor sogar als dystopisch betrachtet.
Die Entwicklung im Bereich der Lebensmitteltechnologie kann uns nicht nur stark verarbeitete Lebensmittel liefern, sondern auch neue kulinarische Welten öffnen. Die Labore von Impossible Foods und Beyond Meat sind auf gewisse Art und Weise eine Weiterentwicklung der Molekularküche. Nachdem man gelernt hat zu imitieren hat man das Werkzeug in der Hand um kreativ mit den erlernten Fähigkeiten umzugehen.
Tagtäglich werden neue Firmen gegründet die auf der Erfahrung dieser Forschung aufbauen und die Lebensmittelindustrie kreativ aufmischen. Neue Methoden entstehen um Milch exakt nachzubilden, Kaffee klimafreundlich ohne Bohnen zu produzieren oder die teuersten Weine für zehn Dollar nachzubilden. Natürlich wollen immer noch viele das Echte haben, doch die Frage ist, ob uns der Weg über das Imitat nicht zu einer demokratischeren, umweltfreundlicheren und moralisch vertretbareren Ernährung führen kann um uns dann wieder davon zu lösen indem wir mit dem Erlernten etwas völlig Neues schaffen.
Maciej Chmara (Jan. 2020)